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Die letzten Scenen, in denen das verhöhnte und verlachte Gewissen endlich doch seine Rechte geltend macht, und er von ihm gepeitscht umherrennt, sind von einer schauerlichen Wirkung, welche die ganze Macht von Schiller’s Talent bereits im hellsten Glanze zeigt, und es erschüttert uns, wenn der Bösewicht alle die Argumente hervorsucht, die ihm einst eine so leichte Brücke zum Verbrechen gebaut, und sie jetzt rettungslos unter ihm zusammenbrechen:

Pöbelweisheit, Pöbelfurcht! – Es ist ja noch nicht ausgemacht, ob das Vergangene nicht vergangen ist, oder ein Auge sich findet über den Sternen. . . .
Sterben! warum packt mich das Wort so? Rechenschaft geben dem Rächer droben über den Sternen – und wenn er gerecht ist, Waisen und Witwen, Unterdrückte, Geplagte heulen zu ihm auf, und wenn er gerecht ist? – warum haben sie gelitten, warum hast du über sie triumphirt?. . . .
Es ist kein Gott!. . . . Ich weiss wohl, dass derjenige auf Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist; aber er wird garstig betrogen. Ich hab’s immer gelesen, dass unser Wesen nichts ist, als Sprung des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und Gedanke. . . . Ich will aber nicht unsterblich sein – sei es, wer da will, ich will’s nicht hindern. Ich will ihn zwingen, dass er mich zernichte, ich will ihn zur Wuth reizen, dass er mich in der Wuth zernichte. Sage mir, was ist die grösste Sünde und die ihn am grimmigsten aufbringt? . . . .
(Auf den Knien.) Höre mich beten, Gott im Himmel! – Es ist das erste mal – soll auch gewiss nimmer geschehen. – Erhöre mich, Gott im Himmel! . . . . (Betet.) Ich bin kein gemeiner Mörder gewesen, mein Herrgott – hab’ mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben, mein Herrgott. . . . Ich kann nicht beten – hier, hier! (Auf Brust und Stirn schlagend.) Alles so öde – so verdorrt. (Steht auf.) Nein, ich will auch nicht beten – diesen Sieg soll der Himmel nicht haben, diesen Spott mir nicht anthun die Hölle.

Diese allmähliche Steigerung der Todesangst ist mit ebenso grosser plastischer Kraft geschildert, als es psychologisch richtig ist, dass das Scheusal aus Furcht vor dem Tode sich selbst erdrosselt.



Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.8.2018)