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Jedwede Aufregung, wie die, welche Johanna emporgetragen und das Volk mit ihr, macht einer Ernüchterung Platz, wenn ihr Ziel erreicht ist; als die Wirkung dieser nothwendigen Reaction haben wir nach dem Einzug in Rheims am Ziel des Siegs die Anklage des eigenen Vaters, die Undankbarkeit des Hofs anzusehen, während Johanna’s eigenes Schuldbewusstsein sie verhindert, rasch der Anklage zu widersprechen, sie an der eigenen Mission zweifeln lässt, eben gerade nach dem Eintreten des Moments, wo ihre Wirkung sich am glänzendsten bewährt hatte, weil, nachdem sie einmal aus der Natur herausgetreten, sie die Rückkehr derselben als einen Widerspruch, es als eine Untreue empfindet, wenn sie ihr unterliegt. Dieselbe Ernüchterung rings um sich gewahrend, wird sie noch mehr irre an sich: was ihr eben noch als Vocation Gottes erschienen war, scheint ihr jetzt selbst wenn auch kein Blendwerk des Teufels, doch wenigstens die Anklage und Verdammung eine Prüfung, die sie als Busse ertragen müsse.

Wie das ganze Volk, findet auch sie den Glauben an ihre hohe Mission erst in seiner ganzen Stärke wieder, als die Noth, die drängende, von neuem naht, da überkommt sie aber die alte Begeisterung sofort wieder, die sie zum Siege und in den Tod führt, wo sie noch einmal das Gefühl der wiedergefundenen Uebereinstimmung mit sich selber selig ausspricht:

Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiss,
Ich bin’s nicht. . . .
– Ja, jetzt erkenn’ ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh’ ich nicht. – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen;
Von meinem Meister ward sie mir vertraut:
Vor seinem Thron muss ich sie niederlegen;
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.



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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/269&oldid=- (Version vom 1.8.2018)