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Die Bekehrung.


Zwei Brüder im Westphälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde, thaten sie sich alles Herzeleid an. Zulezt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum erstenmal an seinen Bruder. „Bruder“, schrieb er, „es geht mir doch im Kopf herum, daß wir nicht Einen Glauben haben, und nicht in den nemlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser.“ Also beschied er ihn in den rothen Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. „Dort wollen wirs ausmachen.“ In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der lutherische: „der Pabst ist der Antichrist“, schalt der katholische: „Luther ist der Widerchrist.“ Berief sich der katholische auf den heiligen Augustin, sagte der lutherische: „Ich hab nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen seyn, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabey.“ Aber am Samstag aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. „Bruder“, sagte er, „der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen“; und Abends gieng schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. „Bruder“, sagte er, „euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant.“ Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst

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Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/283&oldid=- (Version vom 1.8.2018)