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ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verließen sie ihre Kräfte auch. Sie war eine 14 tägige Kindbetterinn, und sie sank mit dem theuern Leichnam ihres Kindes in dem Schooß, ebenfalls leblos darnieder. Die andere eilfjährige Tochter hielt weinend und händeringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie todt waren, drückte ihnen alsdann, eh’ sie auf eigene Rettung bedacht war, mit stummem Schmerz die Augen zu, und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe und Gefahr erst zu einem Baum, dann zu einem Felsen herauf und kam gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster hinein aufgenommen, und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.

Kurz, in allen Berg-Cantonen der Schweiz, in Bern, Glarus, Uri, Schwitz, Graubündten, sind in Einer Nacht, und fast in der nemlichen Stunde, durch die Lavinen ganze Familien erdrückt, ganze Viehheerden mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Gartenland bis auf den nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt, und ganze Wälder zerstört worden, also daß sie ins Thal gestürzt sind, oder die Bäume lagen übereinander zerschmettert und zerknickt, wie die Halmen auf einem Acker nach dem Hagelschlag. Sind ja in dem einzigen kleinen Canton Uri fast mit einem Schlag 11 Personen unter dem Schnee begraben worden, und sind nimmer auferstanden, gegen 30 Häuser, und mehr als 150 Heuställe zerstört und 359 Häuptlein Vieh umgekommen, und man wußte nicht, auf wie viel mal hundert tausend Gulden soll man den Schaden berechnen, ohne die verlohrnen Menschen. Denn das Leben eines Vaters oder einer Mutter oder

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Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/261&oldid=- (Version vom 1.8.2018)