Da stand der Gast vom Spieltisch auf und fragte: „für was sieht denn der Herr mich an?“ Der Fremde sagte: „für einen Flegel.“ Darauf sagte der Gast: „das danke dem Herrn auch ein anderer. Ich merke, daß wir einander beide für den Unrechten angesehen haben.“ Als aber die andern Gäste merkten, daß doch auch in einem feinen Rock ein grober Mensch stecken könne, setzten sie alle die Hüte wieder auf, und der Fremde konnte nichts machen, als ein andermal manierlicher seyn.
Reiche und vornehme Leute haben manchmal das Glück, wenigstens von ihren Bedienten die Wahrheit zu hören, die ihnen nicht leicht ein anderer sagt.
Einer, der sich viel auf seine Person und auf seinen Werth, und nicht wenig auf seinen Kleiderstaat einbildete, als er sich eben zu einer Hochzeit angezogen hatte, und sich mit seinen fetten rothen Backen im Spiegel beschaute, dreht er sich vom Spiegel um und fragt seinen Kammerdiener, der ihn von der Seite her wohlgefällig beschaute: „Nun Thadde, fragte er ihn, wie viel mag ich wohl werth seyn, wie ich da stehe?“ Der Thadde machte ein Gesicht, als wenn er ein halbes Königreich zu schätzen hätte, und drehte lang die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern so her, und so hin. „Doch auch fünfhundert und fünfzig Gulden, sagte er endlich, weil doch heut zu Tag alles theurer ist, als sonst.“ Da sagte der Herr: „Du dummer Kerl, glaubst du nicht, daß mein Gewand, das ich anhabe, allein seine fünfhundert Gulden werth ist?“ Da trat
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/241&oldid=- (Version vom 1.8.2018)