schlimmen Besuch von einem reissenden Thier, wie man noch keines daselbst gesehen hatte, hier zu Land auch nicht. Es hatte Aehnlichkeit mit einem Wolf, wird auch einer gewesen seyn. Doch hatte es eine kürzere Schnautze als ein gemeiner Wolf, war lang und mager und mit langen dunkelgrünen Haaren besezt. Diese grausame und blutgierige Bestie wüthete mehrere Tage lang zum Schrecken der Einwohner in dem Lande herum, grif Menschen und Thiere an, wagte sich sogar am 30. Merz am hellen Tag auf der Landstraße an die Reisenden, zerriß einen Conseribirten, zerfleischte zwey Mägdlein und einen Knaben und blieb selbige Nacht nahe bey dem Hause eines Landmannes, Namens Machin, im Gebüsche übernacht. Der gute Machin, der an eine solche Schildwache vor seinem Hause nicht dachte, gieng des Morgens früh um 3 Uhr, als es noch ganz finster war, aus dem Hause. Da hörte er etwas rauschen im Gebüsch, glaubte es sey die Katze, die sich vor einigen Tagen verlaufen hatte, und rief seiner Frau, die Katze sey da. Aber in dem nemlichen Augenblicke springt das Unthier wüthend auf ihn los. Er wirft es zurück. Es kommt wieder, stellt sich auf die Hinterfüße, drückt ihn zwey Schritte weit an die Wand zurück, und packt ihn mit einem Rachen voll scharfer starker Zähne wüthend an der linken Brust. Vergebens sucht er sich loszumachen. Das Thier sezt immer tiefer seine Zähne ein, und verursacht ihm die entsetzlichsten Schmerzen. Da umfaßt es der herzhafte und starke Machin mit beyden Armen, drückt es fest an sich, ringt mit ihm bis er es im Hause hat, wirft sich mit ihm auf einen Tisch, so daß das Thier unten
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)