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und habt keine Barmherzigkeit gehabt, als Euch ein achtjähriger Knabe um Schonung anflehte; und an meine Schwester? Anfänglich wollte der alte Sünder sich entschuldigen, es gehe bekanntlich im Krieg nicht alles wie es soll, und was der Eine liegen lasse, hole doch ein Anderer; und lieber nimme mans selber. Als er aber merkte, daß der Sergeant der nemliche sey, dessen Eltern er geplündert und mißhandelt hatte; und als er ihn an seine Schwester erinnerte, versagte ihm vor Gewissens-Angst und Schrecken die Stimme, und er fiel vor dem Franzosen auf die zitternde Knie nieder, und konnte nichts mehr heraus bringen, als: Pardon! dachte aber: Es wird nicht viel helfen.

Der geneigte Leser denkt vielleicht auch: „Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen, und freut sich schon darauf.“ Allein das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist, und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten. So dachte der Franzose auch, und sagte: „Daß du mich mißhandelt hast, das verzeihe ich dir. Daß du meine Eltern mißhandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Daß du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott.“ – Mit diesen Worten gieng er fort, ohne dem Husaren das geringste zu leide zu thun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl. Dem Husaren aber war es nachher zu

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Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/181&oldid=- (Version vom 1.8.2018)