der sich vor dem Spiegel einbildet, ein hübscher Knabe zu seyn, geht es wie dem Pfau, wenn er auf seine Füße schaut, und deßwegen zieht ihr die starken ledernnen Riemen, mit welchen ihr die Strümpfe unter dem Knie zu binden pflegt, immer fester an, und setzt ihn in eine Schnalle ein, wo er nie nachgeben kann, damit das Fleisch ein wenig anschwellen, sich heraus heben, und etwas gleichsehen soll, und eben daher kommts. Denn der ganze menschliche Körper und alle seine Glieder erhalten ihre Nahrung von dem Blut. Deswegen lauft das Blut unaufhörlich von dem Herzen weg, zuerst in grossen Adern, die sich nachher immer mehr in unzählig viele kleine Aederlein vertheilen und vervielfältigen, durch alle Theile des Körpers bis in die äußersten Glieder hinaus, und kehrt alsdann durch andere Aederlein, die wieder zusammen gehen, folglich grösser und an der Zahl weniger werden, zu dem Herzen zurück, und das geht unaufhörlich so fort, so lange der Mensch lebt, und auf diesem Wege giebt das Blut dem Fleisch, den Knochen und allen Theilen des Körpers ihre Nahrung, ihre Kraft und Ausfüllung, und wird selber wieder auf eine andere Art durch tägliche Speise und Trank erhalten und ersetzt. Es geht da fast so zu, wie bei einer wohleingerichteten Wasserleitung. Da wird das Wasser aus dem grösseren Strom in kleinere Kanäle fortgeleitet. Aus diesen vertheilt es sich immermehr in kleinere Bäche und Bächlein, dann in Rausen, und endlich findet es jeden Grashalm auf einer Wiese, Klee- und Habermark, Liebfrauen-Mantelein, und was darauf wächst, und giebt ihm seine Erquickung. Aber wo
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/063&oldid=- (Version vom 1.8.2018)