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 XVII

Wo, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen
Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen
reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese
köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese

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deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male

wunderst du dich über die Größe der Frucht,
über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,
und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht

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unten des Wurms. Gibt es denn Bäume, von Engeln beflogen,

und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,
daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?

Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,
durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen
jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?


Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Die Sonette an Orpheus. Insel-Verlag, Leipzig 1923, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rilke_Die_Sonette_an_Orpheus_1923.djvu/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)