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 XXV

Dich aber will ich nun, dich, die ich kannte
wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß,
noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,
schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei’s.

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Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,

anhielt, als göß man ihr Jungsein in Erz;
trauernd und lauschend –. Da, von den hohen Vermögern
fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,

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drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,

trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,
glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen
trat in das trostlos offene Tor.


Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Die Sonette an Orpheus. Insel-Verlag, Leipzig 1923, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rilke_Die_Sonette_an_Orpheus_1923.djvu/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)