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in die Berge gehen,
die Hügel durchwandern
und die Felsen durchschreiten zu dürfen,
ich und meine jungfräulichen Gespielinnen.
Ich will bei ihnen meine Tränen strömen lassen
und meine Jugend betrauern.
Des Gefildes Bäume sollen mich beweinen
und die wilden Tiere mich beklagen!
Ich bin ja nicht darüber bekümmert, daß ich sterben muß,
noch kränkt es mich, dass ich meine Seele hingeben soll,
sondern weil mein Vater zu rasch mit seinem Gelübde war.
Bringe ich mich nicht freiwillig zum Opfer dar,
so fürchte ich, mein Tod würde nicht wohlgefällig sein,
oder ich würde vergeblich meine Seele verlieren.
Dies will ich den Bergen erzählen
und dann zurückkehren.
Da sprach ihr Vater: Ziehe hin!

4
Da zog Jephtas Tochter Seïla mit ihren jungfräulichen Gespielinnen fort.

Dann ging sie hin und erzählte es den Weisen im Volk.
Niemand aber konnte auf ihre Rede Bescheid geben.
Dann ging sie auf das Gebirge Stelac.
Da dachte der Herr bei Nacht an sie und sprach:
Ich sperrte die Zunge der Weisen meines Volkes vor diesem Geschlecht ab,
daß sie der Jephtatochter nicht Bescheid geben konnten,
damit mein Wort erfüllt würde
und nicht zunichte würde mein Plan, den ich ersann.
Ich sah, daß sie weiser ist als ihr Vater,
und eine Jungfrau klüger als alle Weisen hier.
Jetzt soll ihr Leben auf ihr Begehren hingegeben werden
und ihr Tod soll allzeit kostbar vor meinem Angesicht sein
und bei ihrem Hingang soll sie in ihrer Mutter Schoß kommen.

5
Als nun Jephtas Tochter auf das Gebirge Stelac kam,

begann sie zu weinen.
Dies ist ihr Klagelied,
worin sie sich beklagte und beweinte,
bevor sie hinging;
sie sprach:
Ihr Berge, hört mein Klagelied!
Ihr Hügel, schauet meiner Augen Tränen,
und Zeugen meines Seelenleides sollt ihr Felsen sein!
Fürwahr, wie werde ich getadelt!
Doch nicht vergeblich soll mein Leben hingegeben sein!
Zieht, meine Worte, in den Himmel!
Laßt, meine Tränen, in das Firmament euch schreiben!
Nicht zwang der Vater seine Tochter,
die er als Opfergabe gelobt.
Es mög sein Herrscher hören.