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der Brief lag angefangen. Aber immer wieder kamen andere Gedanken — in der kurzen Zeit, seit er fort war, schien ihr alles verändert und am meisten sie selbst. — Er hatte sie die ersten Schritte gelehrt und sie dann alleine gelassen, — sie sollte auf ihn warten, und schon fing es an, sie wie eine unerträgliche Fessel zu drücken, daß sie an diesen einen Mann gebunden war. Sie meinte zu ahnen, daß sie sich doch niemals so ganz binden könnte; wie sollte man es wissen, ob nicht immer und immer wieder ein andrer kam? Denn kaum war er fort gewesen, so hatte sie schon wieder an einen andern gedacht und dachte jetzt unaufhörlich an ihn. Ellen hatte keine Ahnung, wer er war — sie begegneten sich eine Zeitlang fast täglich, und dann sprach er sie eines Abends an. Es war ihr auch ganz gleichgültig zu wissen, wie er hieß, für sie war er gar kein Mensch mit irgendeinem Namen — er war die Versuchung selbst — der Versucher in irgendeiner Menschengestalt, der plötzlich vor ihr auftauchte, wenn sie abends zur Stunde oder ins Theater ging — er sprach auch nicht laut wie andere — er raunte nur, wich nicht von ihrer Seite und raunte ihr geheimnisvolle Lockungen zu:

„Komm mit mir, bei mir ist der Rausch, nach dem du verlangst — komm mit mir, ich will dich alle Geheimnisse und Wunder lehren, die du noch nicht kennst.“

Und dies diabolische Lachen, mit dem er dann wieder im Straßengewühl untertauchte, wenn sie alle ihre Kraft zusammennahm und nein sagte. Tagelang bebte es in ihr nach, als ob wirbelnde Wogen um sie her brandeten; und wie es lockte und reizte, da hineinzustürzen, Hals über Kopf, alles vergessen, über sich hinbrausen lassen.

Ihr ganzes Wesen schlug um, sie arbeitete nicht mehr, dachte nicht mehr mit tiefem Ernst über alle möglichen Dinge nach — sie träumte nur noch von einem Rausch ohne Grenzen und Ende. Und diese Träume ließen sie Tag und Nacht nicht los.

Immer wieder sah sie sich in einem rotdurchleuchteten Zimmer, die Wände, die Teppiche, alles brannte

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0583.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)