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recht fleißig sein, und wir wollten jetzt in Frieden leben. Das schnitt mir durchs Herz, Friedl, früher hat sie nie so mit mir gesprochen. Ich glaube, sie hat jetzt Angst, daß sie uns doch einmal ganz verlieren könnte. Mama ist überhaupt ganz anders geworden, sie hat etwas Milderes, das ich sonst an ihr nicht kenne, und wenn sie nur gut mit mir ist, habe ich sie doch wieder so lieb. — Aber es ist zu spät — gerade in dem Augenblick fühlte ich auch, wie sehr ich schon losgelöst bin. — Sieh, Friedl, von Natur ist mir alle Unwahrheit verhaßt, aber sie haben mich selbst da hineingetrieben. Du hast ja recht, daß gerade wir als Kämpfer für unsre Ideen alle Lüge verschmähen und unantastbar dastehen sollen. Aber jetzt noch würde es dasselbe bedeuten, wie die Waffen aus der Hand geben und verzichten. Selbst der Weg zur Wahrheit steht uns noch nicht offen. Ach, Friedl, wir werden noch viel bluten müssen um unsre Freiheit; sagt nicht Lassalle irgendwo, daß wir alle Gladiatoren der neuen Zeit wären?

Von jetzt an wird mein ganzes Zuhauseleben nur noch Schein und Verstellung sein, jedes Wort, das ich sage — mein wahres Leben liegt anderswo — mit Euch. Aber wenn ich so allein bin, ist mir oft, als ob ich diesem Widerspruch erliegen müßte — jeden Schritt zu mir selbst mit Lügen erkaufen. Aber es muß sein und ich werde die Kraft auch finden. — Und wie lange wird es dauern, bis einmal alles herauskommt — mir ist, als ob ich auf einer Pulvertonne lebte, die jeden Augenblick in die Luft fliegen kann.

Wenn Du nur erst hier wärest — — —“



Ellen stand am Fenster und hörte durch Herbstwind und Regen vom nahen Bahnhof herüber die Züge pfeifen. Heute abend sollte Friedl ankommen.

Es wurde dunkel, sie zündete die Lampe an und wollte den Vorhang herunterlassen. — Da stand plötzlich jemand drüben unter der Laterne und sah herüber. Sie riß das Fenster auf, Sturm und Regen schlugen ihr ins Gesicht. — Ja, das war er, in

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0573.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)