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sie bebend hinter ihr und folgte jedem Strich. Und nur dann, wenn sie ihr Gesicht nicht sehen konnte, wagte sie von sich selbst zu sprechen — wie sie sich auch so ganz in die Kunst hineinstürzen möchte, nur dafür dasein und arbeiten bis aufs Blut, trotz aller Hindernisse. Und was für Hindernisse standen ihr entgegen — das meinte Fräulein Hunius auch, die Ellens ganze Verwandtschaft kannte. Sie sprach ihr auch von den Enttäuschungen, daß Ellen noch so jung sei und sich wie alle Anfangenden große Illusionen mache, die wohl meist nach und nach zerschellten. Aber das bedrückte sie nicht weiter und sie glaubte nicht daran. Es war eine Zeit, wo sich ihr alles in einen Traum von immerwährender Glückseligkeit verwandelte, der ganze Tag war ein ernstes Spiel mit frohen Kräften, und selbst in den warmen Sommernächten wollte keine rechte Müdigkeit kommen. Manchmal stand Ellen heimlich wieder auf, stieg aus dem niedrigen Fenster und lief über den Rasenplatz zum Fluß hinunter, der am Garten vorbeifloß. Da schaukelte sie sich in Tante Helminens kleinem Boot oder tauchte in das dunkle, raschfließende Wasser hinein, mit stiller Angst, daß die Tante sie gehört haben könnte.

Anfang Dezember schrieb die Mutter, Ellen müsse nun endlich einmal wiederkommen. Die Tante ließ sie ungern gehen, denn sie hatte große Freude an Ellens Fleiß und konnte ihre rastlose Lebendigkeit gut ertragen. Aber im nächsten Jahr sollte sie wiederkommen und weiterlernen.

Ellen fuhr nach Hause mit zwei großen Zeichenmappen und voll von Plänen und Zukunftsträumen. Jetzt strahlte ihr die Welt. Sie wollte gut gegen Mama sein, ihr nachgeben, soweit es ging, und im Stillen weiterarbeiten, bis sie alle überzeugt hatte, daß sie Malerin werden müßte.


Am Weihnachtsabend saßen sie alle noch spät beim Punsch im Eßsaal auf Nevershuus. Der Freiherr ging, wie er es liebte, während des Gespräches mit großen Schritten auf und ab.

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0555.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)