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die Alte hat sozusagen Mutterstelle an mir vertreten und ist immer sehr nachsichtig gewesen. Sie verlangte einfach von mir, daß ich den Verkehr mit dir abbrechen sollte. Leicht ist es mir nicht geworden, aber du tatest ja immer, als ob es dir ganz gleich wäre.“

„O Gott, nein, das war es nicht.“ Sie umarmten sich, und Ellen war überselig.

„Weißt du, wir wollen uns oft schreiben. Laß mich wissen, wie es dir zu Hause ergeht.“

„Ja, und ich hab' noch eine Bitte —, schenk mir doch eine Locke von dir.“

Ellen durfte sich selbst eine abschneiden, sie hatte schon eine ganze Edithasammlung bis zu weggeworfenen Stahlfedern, heimlich abgeschnittenen Plaidfransen und alten Schreibheften, aber die Locke kam in ein Medaillon, das sie immer unter dem Kleid tragen wollte.

Die Osterglocken läuteten, und in weißen Kleidern mit langen Schleppen stiegen die Konfirmandinnen die hohen Steinstufen hinab, durch den dunklen, feuchtkalten Hausflur in die Kapelle.

Als Ellen vor dem Pfarrer kniete, war ihr, als ob seine Stimme für sie einen ganz besonderen Klang hätte, der ihr allein galt, wie eine feierliche Heimlichkeit zwischen ihnen. — Ihre Seele war voller Ernst und wogte in einem frohen, morgenfrischen Gefühl. Mit diesem Tage wollte sie ja ein neues Leben anfangen, es kam ihr jetzt so leicht und hell vor, — wie wenn man nach einem mißglückten, zerfetzten Tag aufwacht und nun alles zurechtbringen will, was gestern nicht gelang.

Andern Tags reiste sie mit ihrer Mutter ab. An der Treppe stand die Pröpstin und streckte ihr kalt die Hand zum Kuß hin. — Ah — zum letztenmal diese Treppe, zum letztenmal dies harte, blanke Gesicht mit den tiefgemeißelten Augenhöhlen, zum letztenmal dieser Sklavenhandkuß!

Und dann das wehmütige Glück, in den Frühlingsabend heimzufahren, heimwärts, nach Nevershuus, zu den Geschwistern — und mit dem Versprechen, daß Editha sie nicht vergessen wollte.


Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0548.png&oldid=- (Version vom 27.9.2016)