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dunklen Hinterzimmer der kleinen Konditorei, bei all den Neckereien und Anspielungen, die da hin und her flogen, — bei all dem Herzklopfen vor Entdeckung und den hinterlistigen Verabredungen während der Tanzstunde unter Mamas Augen.

Es bekam alles eine andere Perspektive. Ellen hatte bis dahin nur in sich selbst hineingelebt in dem engen Kreise, den man um sie zog. Jetzt fing die Welt an, sich zu weiten, sie sah: es gab noch ein Leben, das jenseits der Mauer lag, das rascher pulsierte und reich an lockenden Erregungen war.

Am Ende dieses bewegten Sommers verreisten die Eltern auf längere Zeit. Ellen genoß die Septembertage im Gefühl eines großen Triumphs, denn Cläre Huhn war krank geworden, und das empfand sie als ihr Werk. Vier Jahre hindurch hatten sie sich Tag für Tag an dem großen runden Schultisch gegenübergesessen, und vier Jahre hindurch hatte Ellen das arme, bleichsüchtige Geschöpf buchstäblich gemartert mit allen Schikanen, die der rücksichtslose Haß eines Kindes ersinnen kann. Sie ließ sich kein Lächeln, keinen Fleiß, kein Eingehen auf irgend etwas abgewinnen, begegnete aller Freundlichkeit und aller Strenge mit derselben steinernen, ablehnenden Hartnäckigkeit und betete allabendlich, daß Gott Cläre Huhn mit seinem Zorn treffen möge.

Als die Nachricht kam, daß sie erkrankt war, lag Ellen in ihrem Zimmer auf den Knien und dankte Gott. Am Fenster sangen ihre Kanarienvögel, die Sonne lachte, und sie brauchte nicht in die Stunde. Das Werkzeug ihrer Qual war verstummt und unterlegen.

Nun kam eine Reihe von Festtagen. Marianne regierte mit Milde und fand, daß die Kinder sich dann auch viel besser lenken ließen. Sie war sich immer gleich geblieben als die sanfte, ruhige Älteste, zu der alle mit ihren Anliegen kamen. Und sie hatte nicht immer einen leichten Stand dabei — die Mutter war hitzig und parteiisch, Papa konnte keinen Ärger vertragen, und die junge Meute stürmte fortwährend dagegen an, mit allen ihren Forderungen, Wünschen und Unbotmäßigkeiten.

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0531.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)