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war es gerade Ellen, die mit zerrissenen Kleidern, mit Schrammen und Beulen heimkam oder schlammbedeckt und bis an den Hals durchnäßt. Woher hatte das Kind nur diese unbändige Wildheit im Leibe? Kein Baum war ihr zu hoch, kein Graben zu breit, und wurde sie dafür gescholten, so brach sie jedesmal in schmerzliche Verwünschungen aus, daß sie kein Junge war.

Trotz all dieser Bitternisse war es noch ein wunderbar schöner Sommer, den die drei Freunde zusammen verlebten. Lange Nachmittage lagen sie draußen am Strand in dem kurzen, harten Deichgras, wenn die Luft so klar war, daß man die Inseln deutlich sehen konnte und weitum nichts hörte, wie den langgezogenen, sehnsüchtigen Schrei der Seevögel. Und der Rückweg durch den grünen Koog, wo es große Gefahren und Hindernisse mit Gräben und losgerissenen Bullen gab. Oder sie gingen weit in die Heide hinein zum „Galgenberg“. — Vor vierzig Jahren sollte dort die letzte Hinrichtung gewesen sein, jetzt stand nur noch ein einziger alter Pfosten da. Die Kinder saßen im roten Heidekraut und schauderten, wenn eine Krähe aufflog. Oft sprachen sie dann von ihrem späteren Leben — Geerd sollte zum Herbst auf eine andere Schule, und das war ein furchtbarer Schlag für sie alle. Wie sollten sie ohne einander fortleben, bis sie groß waren und tun konnten, was sie wollten. Denn dann wollten sie wieder zusammenkommen, das stand fest.

„Ja, und du wirst wohl auch später einmal heiraten müssen, Ellen, und Kinder kriegen,“ sagte Geerd manchmal. Ellen sträubte sich wütend dagegen, es war ein schrecklicher Gedanke, daß sie eine Frau werden sollte, sie suchte sich dann durch doppelte Kraftleistungen hervorzutun und redete wilde Zukunftspläne. Sie dachte immer noch daran, einmal fortzulaufen zu den Zigeunern, hatte sich heimlich beim Tischler Kniestelzen machen lassen und übte sich in Purzelbäumen, um bereit zu sein, wenn der Augenblick kam. Ach, und dann im grünen Wagen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, konnte es wohl etwas Schöneres geben?

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0526.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)