Seite:Reden und Vorträge 160.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Gedanken fliegen befruchtend über die weite Welt, dort zu keimen und neue Früchte zu zeitigen.

Dieses Deutschland stand lange schon groß da, ehe Deutschland eine politische und wirtschaftliche Einheit und Macht ward. Eine solche zu begründen ist der Gedanke nicht vermögend: dazu bedarf es der That. Damit ein Volk in der Gesellschaft etwas bedeute, muss es durch mächtige Thaten sich einen Platz[WS 1] nehmen und muss ihn durch fruchtbringende Macht behaupten. Auch das haben die Deutschen gethan. Wir wollen der großen Männer der That nicht des breiteren gedenken, wir wollen heute so wenig von Sadowa und Sedan reden, wie Perikles von Marathon und Salamis, als er Athens Staat und Athens Kultur pries. Unserer Helden Namen stehen in unserem Herzen geschrieben, und die Welt wird sie nie vergessen. Rufen wir lieber in unser Gedächtnis, wie vieles von vielen geleistet werden mußte, damit die Aufrichtung des deutschen Staates gelingen konnte, und vollends, damit dieser Staat nicht ein bloßes Gebilde militärisch politischer Macht würde und bliebe. Da verdienen wieder die edlen Männer den Ehrenplatz, die das neue Preußen an Stelle des friedericianischen Staates aufgebaut haben, die Aufgaben des Staates, die Pflichten und die Würde seiner Bürger mit so hohem Sinne abwägend, und mit besonnenster Kühnheit die großen Gedanken der Revolution mit dem geschichtlich Gegebenen verbindend, daß der Grund, den sie gelegt haben, nur mit dem preussischen Staate zerstört werden kann. Und als in der Ermattung nach den Freiheitskämpfen die Krönung ihres Gebäudes in ihrem Sinne unterblieb, da hatten sie dem unter dem innerlich überlebten Absolutismus regierenden Beamtentume so viel doch von ihrem Geiste übermacht, daß es das Ziel des Gesamtwohles nicht aus den Augen verlor, und in der Ordnung der Steuern und Zölle lebte der schöpferische Geist weiter und bereitete durch wirtschaftlichen Zusammenschluß die Ausgleichung der Stammesgegensätze vor. Aber auch die erfolgreiche Arbeit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pletz
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Neujahrsrede 1900 in der Friedrich-Wilhelm-Universität. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1901, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reden_und_Vortr%C3%A4ge_160.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)