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verstehen sich als Außenpolitiker heute besser auf die europäische Flöte als auf die Tuba des römischen Imperialismus.

So hat sich Deutschland durch seine Überbewertung des Militärischen geistig zunehmend isoliert. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß der deutsche Kult des Soldatentums in eine Epoche fällt, in der Soldatentum im herkömmlichen Sinne immer mehr zum Anachronismus wird. Jedesmal, wenn die Romantik sich einer Sache bemächtigt und Gloriolen um sie webt, dann ist deren Zeit schon vorüber, und die Sehnsucht nur macht aus der Erinnerung einen wünschenswerten Zukunftstraum. Deutschland, unter den großen Staaten der einzige mit so engen Rüstungsschranken, träumt die wilde romantische Cimbernschlacht, wo Mann gegen Mann steht und das Herz entscheidet und nicht die technische Überlegenheit. So träumt Deutschland mitten in einer Entwicklung, wo die Dreadnoughts altes Eisen, gut genug zur Verschrottung, werden, und die Fachmänner den raffiniertesten französischen Fortifikationen nicht viel mehr Verteidigungswert zumessen als den Palisaden nackter Wilder.

Die Republik hat es nicht verstanden, den spontanen Antimilitarismus, den unsre Heere aus dem Kriege mitbrachten, im eignen Interesse zu fundieren. Sie hat ihn, im Gegenteil, unterdrückt, wie sie nur konnte, und den chauvinistischen Gegenströmungen eine Konzession nach der andern gemacht, ohne daß es ihr gelungen wäre, sie mit ihrer Existenz zu versöhnen. Aus alledem aber wuchs als gefährlichste Frucht: die Suprematie der Militärs in der Politik. Alle Schwierigkeiten selbst dieser krisenhaften Zeitläufte wären nicht so arg, wenn nicht fortwährend die Herren Generale dazwischen regierten.

Aus welchem Grunde grade in Deutschland die Militärs ihre Machtansprüche erheben, ist schwer erfindlich. Man kann den Herren eine Unmenge Fähigkeiten und Verdienste zusprechen, die innerhalb ihres gelernten Berufes liegen, aber eines ist ihnen immerhin nicht gelungen: sie haben nämlich den Krieg nicht gewonnen! Es mutet etwas absurd an, daß ein Stand, der die Angelegenheiten der Nation mit so eklatantem Mißerfolge verwaltet hat, der die Millionenheere dezimiert und geschlagen ans Vaterland zurückgeliefert hat, seine Prätentionen auf bürgerliche Gebiete richtet, von denen er nicht das mindeste versteht. Was würde Herr von Schleicher wohl sagen, wenn ein ehrgeiziger Zivilist sein Bemühen darauf richtete, das Kommando über eine Division zu erlangen oder sich gar das erste Wort im Reichswehrministerium zu sichern?

Niemals ist in der Deutschen Republik die Generalswirtschaft resolut bekämpft worden. Kein ernsthaftes Bürgerbewußtsein zog jemals die Grenzlinien der Befugnisse. Der Kampf, der in der dritten französischen Republik mit den Diktaturplänen Mac Mahons begann und mit der zähneknirschenden

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_14.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)