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Blätter gearbeitet und als Tagesschriftsteller eine vielfältige Tätigkeit ausgeübt habe, daß ich in jeder Phase bemüht gewesen bin, mir eigne Augen, und eigne Haltung zu wahren. Darüber setzten sich Herr Baumgarten und sein Richterkollegium mit einer staunenswerten Virtuosität hinweg. So habe ich diese Gesichter in Erinnerung: wenn die Angeklagten sprechen, werden sie kühl, abwehrend, ungläubig und verharren endlich in einer Mischung von Skepsis und Gelangweiltheit, ein Ausdruck, der sich erst löst, wenn der militärische Sachverständige das Wort nimmt. Dann kommt eine neue freundliche Spannung in die Mienen.

Was wir, die Angeklagten, ausführten, war dem Richtertisch völlig belanglos. Es ist charakteristisch, daß nicht eine Frage fiel nach dem Wesen der ‚Weltbühne‘, nach ihrer besondern Art und ihren Lebensbedingungen. Es wurde alles unversucht gelassen, was das Gericht irgendwie hätte zur Objektivität verführen können. So wurde aber auch der Eindruck vermieden, es handle sich um eine Generalabrechnung mit einem mißliebigen Blatte. Das ist die taktische Leistung dieses Prozesses. Sie ist größer als die juristische.

Nur ein Moment fesselte aufs lebhafteste: daß ich unmittelbar nach dem Kriege etwa ein Jahr lang Sekretär einer pazifistischen Gesellschaft gewesen bin. Daraus wurde eine dauernde „antimilitaristische Einstellung“ gefolgert. Ich hätte zur Vervollständigung meiner Biographie hinzufügen können, daß der organisierte Pazifismus in meiner innern und äußern Existenz nicht mehr als eine knappe Episode bedeutete. Daß ich mit den meisten von seinen Führern seitdem verzankt bin, daß ich ihre Politik für verkehrt und selbstzerstörerisch halte. Ich verzichtete darauf, denn es wäre mir ekelhaft erschienen, mir eine Folie zu geben auf Kosten von Menschen, die der gleichen Verfolgung preisgegeben sind wie ich. Ich hätte hinzufügen können, daß ich seit meiner Trennung von den organisierten Pazifisten mich ganz dem großen Umschmelzungsprozeß der Zeit anvertraut und mir eine besonders profilierte Stellung errungen habe. Daß mein Verstand sich noch immer zu der heute so verschmähten Demokratie bekennt, während mein Herz unwiderstehlich dem Zuge der proletarischen Massen folgt, nicht dem in Doktrinen eingekapselten Endziel sondern dem lebendigen Fleisch und Blut der Arbeiterbewegung, ihren Menschen, ihren nach Gerechtigkeit brennenden Seelen. Das hätte ich sagen können — aber wozu? Ein Blick auf diese Gesichter bannte die Zunge.

Abgestempelt war ich ja doch. Was hätte es für Sinn gehabt, einer einseitigen und lächerlich simplifizierenden Charakterisierung entgegenzuhalten, daß ich in den ersten im Zeichen der monarchistischen Konterrevolution stehenden Nachkriegsjahren mich an den Versuchen beteiligt habe, eine republikanische

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_11.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)