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zu fingierten Situationen der Dichterwelt, die schwerlich auf wahren Verhältnissen beruhen.

Noch weniger dürfen wir annehmen, daß es allgemeiner Ton gewesen sey, so geistig zu lieben, als es von mir bis jetzt geschildert ist. Schon früh im zwölften Jahrhunderte, von der ersten Zeit an, worin wir Spuren von den Werken der Troubadours finden, klagen diese bereits darüber, daß wahre Treue und edle Liebe aus der Welt verschwunden sey, und diese Klagen dauern fort, so lange uns noch Ueberbleibsel von ihren Gedichten aufbewahrt sind; zum sichern Beweise, daß diese Liebe wohl hauptsächlich in einzelnen Fällen, oder gar nur in der Dichterwelt Statt gefunden habe.

Neben jenen Zügen einer edleren Liebe finden wir Spuren der größten Ausgelassenheit der Sitten, und, einer völligen Vernachlässigung des Anstandes, und was höchst merkwürdig ist; wir finden sie gerade da, wo der Liebhaber durch seinen Stand berechtigt zu seyn glaubte, sich über Sittlichkeit und Achtung für das zärtere Geschlecht hinauszusetzen. Die Fürsten aus dieser Zeit, welche sich mit der Poesie abgaben, sind äußerst zügellos in ihren Gedichten. [1] Es war daher den Damen von geringerm Stande nicht rühmlich, mit vornehmern Herrn in Verbindung zu stehen. Azalais de Pourçairagues sagt: „die Weiber sind Thörinnen, die sich mit großen Herren einlassen. Solche Verbindungen sind eine Quelle von Demüthigung und Verachtung!“


  1. Guillaume IX. Comte de Poitou – Rambaud d’Orange.