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Sechstes Kapitel.
Fortsetzung.

Nach dieser Einleitung, welche über den Geist der provenzalischen Dichter bereits einige Aufschlüsse geben wird, wende ich mich jetzt zu der Prüfung ihrer Ideen über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Wir müssen uns wohl hüten, die Nachrichten über die Lebensumstände der einzelnen Dichter, die uns der Abbé Millot [1] geliefert hat, unbedingt für wahr anzunehmen. Sein Werk ist zwar mit mehr Kritik geschrieben, als diejenigen, welche uns frühere Schriftsteller über diese Materie geliefert haben; demungeachtet ist es mit großer Behutsamkeit zu gebrauchen. Die mehrsten Lebensumstände der Dichter beruhen auf ungewissen Traditionen, die oft keinen andern Grund für sich haben, als die Situationen, in welche der Dichter sich bey der Verfertigung seines Gedichts hineinversetzt hatte. Dieses darf nur an irgend eine Gräfin oder Fürstin gerichtet seyn, um dem Verfasser sogleich ein Liebesverständniß mit ihr zuzuschreiben, dessen Begebenheiten die Imagination des Biographen zum Theil mit Zügen ausgefüllt hat, die in Zeiten hineingehören, worin die Sitte der Galanterie bereits ihre völlige Festigkeit und eine Art von systematischem Zusammenhange erhalten hatte. Wir wollen uns bloß an die Stellen der Dichter selbst halten, welche uns Millot aufbewahrt hat.

Inzwischen ist doch so viel im Allgemeinen für gewiß anzunehmen, daß wenn auch einige Personen


  1. Hist. litt. des Troubadours. Paris 1774.