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kommt auf eine genaue Bestimmung ihres Begriffs, und der Zeit an, worin sie herrschend geworden ist.

Vor dem zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte läßt sich überhaupt nichts Charakteristisches von der Denkungsart des Abendlandes über Geschlechtsverbindung und Liebe angeben. Aus dem Norden ist die Galanterie nicht zu uns herüber gekommen, und von den Arabern haben wir sie auch nicht entlehnt. Sie hat sich im Abendlande, und besonders im südlichen Frankreich von selbst und allmählig aus der herrschenden Denkungsart in allen Dingen überhaupt, aus der Lage der Stände und Geschlechter gegen einander im geselligen Verkehr, und endlich aus dem Ueberreste von klassischer Litteratur, die daselbst nie ganz verloren gegangen ist, entwickelt. Vom zwölften Jahrhunderte an suchten die Menschen der bisherigen Anarchie müde, eine bessere Ordnung in ihre Verhältnisse gegen Kirche, Staat, Sitten und Wissenschaften einzuführen. Dieß Bestreben war aber mit Ueberspannung und Unbehülflichkeit verknüpft, und ihre Folgen zeigten sich in abentheuerlichen Gesinnungen und Thaten, so wie in steifer und unnützer Förmlichkeit.

Nimmt man hinzu, daß die gesellige Kultur sich nur auf die Höfe beschränkte: daß sich dort die Geschlechter nicht anders als bey feyerlichen Gelegenheiten sahen: daß nur verheirathete Frauen vom hohen Stande bey diesen Zusammenkünften erschienen: daß die Vorzüge, welche damahls besonders geschätzt wurden, im kriegerischem Muthe, mit hinschmelzender Humilität gepaart, in Poesie, Musik und Courteoisie, bestanden: und daß endlich bey der Entfernung, worin der Liebhaber zu der Geliebten stand, der sicherste Weg zu ihrem Herzen durch die