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denen sie durch Leidenschaft hingerissen ist, allemahl die größte Schuld auf sich selbst. Juliens spätere Handlungsart läßt sich nur dann als möglich denken, wenn man nicht mehr liebt. Aber so, wie R. sie schildert, unfähig, ihre Leidenschaft aus ihrem Herzen zu reißen, noch auf ihrem Todbette Liebe für ihn bekennend; wie war es möglich, daß sie so schnell, so ruhig das Glück der Verbindung mit einem andern Manne fühlen konnte! Die Liebe kann sich der Pflicht und dem Glück des Geliebten aufopfern. Aber das Herz bricht: es ist unfähig jeder weiteren Freude. Es geht nicht mit dem Liebhaber als mit einem Freunde um, und thut ihm nicht aus kluger Vorsicht, sich selbst den Stand der Versuchung zu erleichtern, wohlüberlegte Vorschläge, sich freywillig in die Arme eines andern Weibes zu werfen!

Und St. Preux! Ja! ich weiß auch, was Liebe zu ertragen im Stande ist; aber den Anblick des geliebten und ehemahls besessenen Gegenstandes in den Armen eines Andern zu dulden, – ruhiger Zeuge, zufriedener Theilnehmer der häuslichen Freuden zu seyn, welche die Familie der Gebieterin giebt, die man nicht sein nennen kann; – Nein! es ist nicht möglich! Man kann fliehen, man kann sich des Glücks des Geliebten freuen; man kann, wenn es erforderlich ist, selbst gegenwärtig dazu beytragen; aber es ist kein Zustand der Zufriedenheit, des Genusses; es ist Aufopferung, es ist Qual; man geht dabey zu Grunde! Nach dem Laufe der Natur hätte St. Preux sterben müssen, und nicht Julie.

Laßt es uns daher gestehen: R. legte seinen Personen Sprache und Handlungen bey, die nicht immer