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woran ihm in seinem Alter vielleicht eben so viel, und vielleicht mehr lag, als an dem Besitz eines Herzens. O gewiß! wäre er wieder geliebt worden, sein Streben hätte aufgehört, seine Imagination wäre erkaltet, alles wäre natürlich geworden, und er hätte sich wieder in dem Falle befunden, worin er schon so oft gewesen war, die Wirklichkeit unter der Vorstellung zu finden!

Diese Kenntniß des Charakters und der Schicksale Roußeau’s wird uns der Entwickelung seiner Ideen über die Liebe näher bringen. Einzeln darf man seine Schriften nicht lesen, um den gehörigen Zusammenhang dazwischen herauszubringen. Da R. nie wahre Herzensliebe empfunden, und, so viel wir wissen, diese nie eingeflößt hat, so sind seine Begriffe von dieser Art der Liebe bloße Ahnungen, denen er ohnehin nicht mit Stätigkeit gefolgt ist.

In seinem Discours sur l’inégalité entre les hommes scheint er nur zwey Empfindungen zu kennen, welche das zärtere Geschlecht dem Manne einflößt: den körperlichen Vereinigungstrieb und die Eitelkeit, von demjenigen Individuo vorgezogen zu werden, das wir vor andern durch Schönheit und Verdienst ausgezeichnet sehen. Ja! im Grunde nimmt er nur eine Empfindung, nehmlich die physische an, welche durch Eitelkeit besonders modificiert wird, und die Seele mit ins Interesse zieht.

In seinem Emil bezieht er sich auf diese früher geäußerte Meynung, giebt ihr aber eine andere Deutung. Er unterscheidet hier die süße Gewohnheit des Zusammenlebens mit der Gattin, die er noch natürliche Liebe nennt, von der zügellosen Aufwallung der