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breitete sich immer mehr aus, und der Werth der Anhänglichkeit an einer bestimmten Person von verschiedenem Geschlechte ohne allen weitern Zweck als den, anzuhangen, ward immer fühlbarer. Vorhin hatte man geliebt, um sinnliche Begierden, um die Triebe nach Ruhm, nach Eitelkeit, nach Beschäftigung, zu befriedigen. Jetzt liebte man, – um zu lieben; wenigstens suchten die Dichter, die Romanenschreiber, die Weltphilosophen der Leidenschaft diesen Zweck beyzulegen, und sie von jeder andern weiterliegenden Absicht abzusondern. Von nun an durfte der Liebhaber mit dem Zustande seines Herzens nicht mehr prunken, und seine Huldigungen, so wie die Beweise der Auszeichnung, die er erhielt, nicht mehr öffentlich zur Schau ausstellen. Der Anstand verbot heimliche Verständnisse zur Befriedigung der Sinnlichkeit: er ließ aber geheime Verbindungen der Herzen zu. Da das Interesse ihrer Darstellung nicht mehr in der Ueberwindung äußerer Hindernisse gesucht werden konnte; so setzte man innere an ihre Stelle, und schilderte forthin die edelste Leidenschaft im Streite mit der Pflicht. Die Spannung, die Beschäftigung der Liebenden, lag nicht mehr in dem Kampfe wider Schwierigkeiten, welche Riegel, Hüter, höchstens Stolz und Rücksicht auf den Anstand hervorbrachten; er lag in dem Kampfe der Liebe gegen Tugend und Furcht vor innerer Unruhe. Der Sieg der einen oder der andern ward immer durch Thränen und Verzweiflung verkümmert. Der Liebhaber konnte das Herz, den edelsten Theil der Sinnlichkeit seiner Geliebten, ihrem noch edleren Selbst, ihrer Moralität, nicht abgewinnen, ohne seine stolze Freude durch die Aeußerungen ihrer Gewissensangst