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Vieles wird deutlicher, wenn wir wissen, daß Sadi ein Religiose, ein Sofi, war.

Hier fragt man: wie es zugehe, daß ein König, der die schönsten Jünglinge in seiner Begleitung hat, einen minder schönen liebe? Die Antwort ist, weil dasjenige, was der Seele gefällt, auch den Augen schön erscheint. – Ein vornehmer Mann liebt seine Magd mit anständiger Liebe. Einer seiner Freunde macht ihm Vorwürfe darüber: er antwortet: die Liebe hebt den Unterschied der Stände auf. – Ein Religiose ist das Opfer einer Leidenschaft zu einem Mädchen, die ruchtbar wird, und ihm die größten Qualen und Unruhen zuzieht. Vergebens macht ihm Sadi Vorwürfe darüber. Er schützt die unwiderstehliche Macht der Liebe vor: selbst die augenscheinlichste Gefahr des Todes würde in seinen Gesinnungen keine Aenderung hervorbringen. – Ein junger Religiose verliebt sich in eine Königstochter. Auch hier sind alle Ermahnungen seiner Gesellen umsonst. Man hinterbringt der Prinzessin den unglücklichen Zustand des jungen Mannes, der sich sonst durch seine Beredtsamkeit so sehr ausgezeichnet hatte. Sie erräth den Grund, und als sie ihn auf einem Spatzierritte antrifft, wendet sie ihr Pferd zu ihm, und redet ihn an. Anfangs findet er keine Worte, um ihr zu antworten; als sie ihm aber sagt, daß sie selbst eine Anhängerin und Dienerin der Religiosen sey, hebt er sein Haupt aus den Fluthen der Liebe, spricht: welch Wunder, daß ich in deiner Gegenwart mir selbst gegenwärtig bin! und giebt freudig den Geist auf. – Ein Lehrer liebt seinen schönen Schüler. Er fühlt die Gefahr, aber er kann seine Augen nicht von der