Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils zweyte Abtheilung | |
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aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit.
Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe.
Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug.
Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils zweyte Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.2.djvu/151&oldid=- (Version vom 1.8.2018)