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Schmerz, Vorwürfe, martern ihn mit jedem Augenblicke zu Tode, um ihn im folgenden zu noch härtern Qualen wieder zu erwecken.

So weit der erste Verfasser dieser ingenieusen Allegorie, die in der Folge von einem andern mit minderem Glücke geendigt ist.

Ihr Sinn geht dahin, den Gang, den ein edleres Liebesverständniß zu nehmen pflegt, zu beschreiben. Die Schönheit zieht an, und erweckt sinnliche Begierden. Aber der Liebhaber zieht sich bey den Schwierigkeiten, die sich ihrer Befriedigung entgegen setzen, zurück. Ein gütiger Blick der Dame giebt ihm neue Hoffnungen, und er sucht ihre Gunst durch ein einnehmendes Betragen und längere Aufwartungen zu gewinnen. Diese öffnen ihm auch den Weg zu ihrem Herzen, jedoch unter der Bedingung, daß er ihrer Unschuld schonen soll. Die Sinne verleiten ihn bald zu verwegenen Angriffen, und die Furcht vor den Folgen bewegt seine Geliebte, ihn aus ihrer Gegenwart zu vertreiben. Er ruft seine Vernunft zu Hülfe; aber umsonst! Ein Freund räth ihm, zu seiner Geliebten zurückzukehren. Seine Reue, sein Biedersinn, bewegen die Schöne zum Mitleid, ihre Besorgnisse verlieren sich, sie schenkt ihm ihre vorige Freundschaft wieder, zu der sich bald Gegenliebe gesellet. Die engste Vereinigung erfolgt: aber sie wird auch bald von der Verläumdung wieder gestört, und beyde Liebende werden ein Raub dauernder Qualen. [1]

Die Grundsätze dieser Art über die Liebe zu denken waren in der Dichterwelt des nördlichen Frankreichs


  1. Das Original dieses Romans enthält mehrere Stellen, welche den Anstand auf das gröblichste beleidigen, die Tressan aber verwischt hat.