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Hieraus lassen sich ungefähr die Begriffe der damahligen Zeit über Geschlechtsliebe und engere Verbindungen überhaupt zwischen beyden Geschlechtern bestimmen.

Der Mann konnte noch immer in der Frau keine völlige Selbständigkeit, keine Gleichheit ihrer Natur mit der seinigen, folglich auch keine Vereinigung derselben anerkennen. Dasjenige, was man gewöhnlich Freundschaft zum Weibe nennt, und was ich Geschlechtszärtlichkeit genannt habe, fand also der Regel nach nicht Statt.

Geschlechtsliebe heißt beym Homer noch immer leidenschaftliches Streben nach dem Besitze der Person. Weil aber die Zuneigung, welche das freyere Weib dem Manne schenkt, und die Treue, die es ihm bey mehrerer Gelegenheit zum Betruge bewahrt, die Einräumung und Erhaltung jenes Besitzes kostbarer machen; so ist höchst wahrscheinlich die Gegengunst des Weibes der Mittelzweck jenes leidenschaftlichen Bestrebens gewesen. Geschlechtsliebe kann also hier für leidenschaftliches Streben nach Einwilligung des Weibes in den Besitz seiner Person und dessen Bewahrung angenommen werden. Bey mehrerer Freiheit und Wirksamkeit des Weibes lassen sich auch mehrere Verbindungspunkte für die Liebenden, und ein erhöheter Antheil an ihrem gemeinschaftlichen Wohl voraussetzen. Der Mann hat für die Gattin zwar nicht diejenige Achtung hegen können, welche ein Mensch einflößt, der sich selbst seinen Zweck bestimmt; aber er hat diejenige für sie empfinden mögen, welche die treue Ausfüllung eines gegebenen Zwecks mit sich führt. Und diese Achtung ist dem Weibe nicht bloß von dem Gatten, sondern auch von der örtlichen Gesellschaft gezollt worden.