Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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Meiner Meinung nach stand die Gattin zu den Zeiten Homers bereits auf der Stufe der Matrone, der örtlich geachteten Hausfrau. Mithin stand sie schon damals über der Sklavin, und über dem eingeschlossenen Familienmitgliede. Sie genoß einiger Menschenrechte, und hing mit der örtlichen Gesellschaft durch eine gewisse Wirksamkeit außer Hause, obgleich mittelbar durch den Mann, zusammen.
Der Thalamus, der Theil des Hauses, worin das Frauenzimmer wohnte, war kein Harem, kein Gefängniß, worin die Gattin, abgesondert von der Gesellschaft ihres Gatten, ihr Leben zwischen ihren Nebenbuhlerinnen hätte zubringen müssen. Sie war nicht bloß Genossin des Bettes des Hausherrn, sie war zugleich Genossin seines Tisches, und theilte mit ihm alle Familienverhältnisse des Hauses. Nur Eine durch rechtmäßige Ehe mit dem Manne verbundene Gattin finden wir bey den eigentlichen Argivern. Schon dadurch zeichnet sich das Weib beym Homer scharf von den heutigen Morgenländerinnen ab.
Noch weit mehr aber unterscheidet sich ihr Zustand durch die Wirksamkeit, die den Weibern außer Hause vom Homer eingeräumt wird. Sie nehmen an feyerlichen Opfern Theil, und halten Prozessionen. Sie
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)