Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung | |
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entweder lächerlich gefunden, oder mit wenig Interesse angehört haben würden.
Die verliebte Elegie ist höchst wahrscheinlich das Produkt der Residenz und Handelsstadt Alexandrien. Hier mußte die Intrigue, das dauernde Liebesverständniß unter nicht verheiratheten Personen entstehen, weil hier ein Hof war, weil hier wenig öffentliche Thätigkeit dagegen viel geselliges Verkehr, und viel Luxus herrschte: weil endlich hier das Ueberspannte und Gernwitzige im Geschmack des Volks war.
Die Heroide ist wahrscheinlich hier gleichfalls zuerst versucht worden. Im Grunde liegen bey Beyden Liebesbriefe und verliebte Selbstgespräche unter, deren sich der ästhetische Sinn, und die Phantasie bemeistern, um schöne Kunstwerke der Poesie daraus zu schaffen. Erhebt sich der Schwung der Empfindungen und der Ausdruck nicht zu sehr über die Situationen und die Sprache des gemeinen Lebens, so sind diese Kunstwerke Elegien. Der Ausbruch verliebter Gefühle bey ausgezeichneten Personen unter ungewöhnlichen Lagen giebt der Heroide den Charakter.
Eine vollständige Entwickelung dieser Dichtungsarten läßt sich zwar aus griechischen Denkmählern nicht liefern; aber ihr Daseyn ist außer Zweifel. Ich behalte mir vor, über die Natur verliebter Elegien und Heroiden das Nähere bey der Geschichte der Liebe unter den Römern vorzubringen.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Dritten Theils erste Abtheilung. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_3.1.djvu/278&oldid=- (Version vom 1.8.2018)