Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
|
Schickliche, worauf der Geschmack beruhet. Liebe spornt uns endlich, des Geliebten würdig zu seyn, vor seinen und anderer Augen. Liebe ist folglich eine mächtige Beförderin der Talente in jeder Rücksicht. Es ist unmöglich, daß der Dilettante, der sich nicht von Jugend auf, und ausschließlich auf eine schöne Kunst hat legen können, je in irgend einer zum Virtuosen werden möge! Aber es giebt eine Art, sich aus Liebhaberey mit den schönen Künsten zu beschäftigen, die einen Schönheitssinn verkündigt, der sich über alles verbreitet, was wir angreifen, und einen Trieb, der selbst in demjenigen, was nur zur Unterhaltung dient, nach einem gewissen Grade von Vollkommenheit strebt. Diesen Geschmack, dieß edle Streben, schärft und spornt die Liebe!
Der dauerndste Genuß, den die Liebe zur wechselseitigen Unterhaltung darbiethet, ist der Austausch der Ideen im traulichen Gespräch über alles, worüber Liebende von verschiedenem Geschlechte sich einander verstehen und begreifen mögen. Man musiciert, man zeichnet, man dichtet und tanzt sich bald müde; aber nie hört man auf, gern seine Bemerkungen zusammenzutragen, sich darüber zu erklären, ihre Richtigkeit festzusetzen. Der Stoff ist unerschöpflich, er reicht so weit, als das Gebiet des Verstandes, der Vernunft, der Imagination
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)