Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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O du, der du so mit mir fühlst, ich will dich nicht über Empfindungen belehren, die du längst gekannt hast, und die keine Darstellung denjenigen kennen lehrt, der sie nicht gehabt hat! Ich bin nicht anmaßend genug, zu glauben, daß ich ein Bild, würdig der Göttlichen, die wir beyde verehren, liefern könne! Aber vereinige dich mit mir: folge den Zügen, die ich vorzeichne, mit deiner Erfahrung, mit deiner Phantasie und deinem Herzen! So werden wir ein Gemählde der Wohlthaten, die wir von der Göttin empfangen haben, in ihrem Tempel wie eine tabula votiva, wie ein Gelübde aufhängen dürfen, dessen kunstlose Form durch die frommen Gesinnungen des Gebers geheiligt wird: ein Denkmahl unserer Dankbarkeit, eine labende Erinnerung für eine eherne Zukunft!
Noch darf ich von Liebe reden: noch kann ich ihre Wonne fühlen; aber das Schicksal ist veränderlich, die Natur gebrechlich, und das Alter übereilend! Bald werde ich nur ein Herz für Freundschaft, für Menschen- und Bürgerliebe übrig behalten! Bald werde ich den Myrthenkranz, der noch mein Haupt umschlingt, mit der Krone des Epheus und des Eichenlaubs umwinden müssen! Für diesen Zeitpunkt will ich den gegenwärtigen, wenn auch mit schwachen Umrissen, aufbewahren, damit ich beym Rückblick auf diese Blätter mit edelm Stolze und süßer Schwermuth mir sagen kann: Auch ich war in Arkadien!
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/259&oldid=- (Version vom 1.8.2018)