Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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Dieß alles erweckt Bilder des Talents, besonders eines guten Gesellschafters, des muntern Kindes, des interessanten Alten, des unbefangenen Ausbruchs der Lüsternheit in den niedrigen Ständen, u. s. w.
Figuren dieser Art liefern der Faun, die Bacchante, der Philosoph, der Dichter der alten Kunst; das junge Kind, und der Apostel der neuern. Im gemeinen Leben sind diese pikanten Schönheiten gemeiniglich unter dem Nahmen von irregulären Schönheiten, von Physiognomien, charakteristischen, ausdrucksvollen Figuren, u. s. w. bekannt.
An dem Gefühle des Schönen, welches Formen dieser Art einflößen, haben die Sinne, außer dem Auge, unstreitig Antheil. Aber eigentliche Ueppigkeit oder Lüsternheit wird sich schwerlich mit einmischen. An Abdruck einer vollkommenen Seele, als alleinigen Grund des Schönheitsgefühls, ist gleichfalls nicht zu denken, und der scurrilische Faun, das Kind, das den Becher ausschlürft, u. s. w. zeigen davon keine Spur. Inzwischen verlangen doch auch hier der Verstand und die Vernunft, daß ihre Gesetze auf das Bild ihrer Phantasie angewandt werden.
Die unterhaltenden Schönheiten sind von den belachenswerthen Gestalten, von den Caricaturen, sehr verschieden. Unser Verstand und unsere Vernunft schränken bloß ihre Forderungen ein, und denken weniger an die Gattung und das Geschlecht, als an den Stand und das Alter. Es muß ein vollkommenes Kind, ein vollkommener Greis, ein vollkommener Bauer in seiner Art seyn. Die Schwäche, die Gebrechlichkeit, der Mangel an Ausbildung, in Rücksicht auf die Gattung des Menschen überhaupt, werden zu Gute gerechnet.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/127&oldid=- (Version vom 1.8.2018)