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und begünstigtem Beschauungshange keine dauernde Anhänglichkeit an der Person Statt finden könne.


Viertes Kapitel.
Liebend ist nur diejenige Anhänglichkeit, worin liebende Affekte prädominiren.

Nach diesen Voraussetzungen darf man freylich vom großen Haufen nicht erwarten, daß er bey Beurtheilung der Verbindungen, deren Aeußerungen er im gemeinen Leben wahrnimmt, die liebenden Anhänglichkeiten von den eigennützigen und beschauenden unterscheiden werde. Er nennt jede engere Verbindung Liebe, worin das Wohl des Geliebten sich mit dem des Angehängten verträgt, besonders wenn er sieht, daß dieser letzte sogar thätig zu dem Wohl des ersten beyträgt. Darüber ist ihm auch gar kein Vorwurf zu machen. Denn wie gesagt, Selbstheit und Beschauungshang und Herz müssen in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse zu einander stehen, wenn der Begriff der liebenden Anhänglichkeit gegründet werden soll. Und wie kann man von dem gewöhnlichen Beobachter erwarten, daß er ein sicheres Urtheil darüber fällen werde, ob das Herz hier oder dort den überwiegenden Antheil an dem Wohl des Verbündeten nehme?

Demohngeachtet wird jeder einzelne, aufs Gerathewohl aus diesem großen Haufen herausgewählt, wenn er nur seine eigene Lage zu demjenigen, mit welchem er zusammenhängt, unbefangen prüft, und anders nur ein Herz, und die Fähigkeit zum Nachdenken überhaupt hat, gar leicht gewahr werden, ob er geliebt werde und wieder liebe.