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fernen Gefahr für das geliebte Kind zittert, von deren Unwahrscheinlichkeit sein Verstand überführt ist, ohne sein Herz beruhigen zu können! Wie viel lieber schwatzt es darüber mit der Freundin aus! Wie viel lieber schüttet es in den Busen dieser letzten seinen Schmerz über mißlungene häusliche oder gesellige Einrichtungen, und sucht bey ihr Hülfe und Rath! Wie ungern gesteht es dem trauten Bruder seine Schwäche für Putz und Schmeicheley der Kinder und Dienstbothen, und wie gern zeigt es sich vor ihm in der Gestalt einer strengen Hausfrau und gerechten Mutter! So hebt sich die Zartheit der Frau der Stärke des Mannes entgegen, während sie sich ganz zur Zartheit im Mitgefühl ähnlicher Anlagen, bey der Freundin hingiebt. Wo sie aber Hülfe, Rath, Trost in ihren Verhältnissen zur größern bürgerlichen Gesellschaft braucht, wo sie Anspruch auf Kenntnisse und gründliche Ausbildung des Geschmacks macht; wo sie überhaupt Wahrheit, Richtigkeit mit Schönheit und gefälliger Behandlung zu paaren sucht; da ist der Beystand, der Beyfall, die Mittheilung des trauten Bruders von einem Werthe, den ihr die Freundin nicht ersetzen kann.

So geben wir denn der zärtlich geliebten Person von verschiedenem Geschlechte, auch ohne Rücksicht auf den Körper zu nehmen, von der Natur unserer Seele ganz etwas anders hin, als der zärtlich geliebten Person von dem nehmlichen. So empfängt das Weib ganz etwas anders von der Natur der Seele des trauten Bruders; der Mann ganz etwas anders von der Natur der Seele der trauten Schwester, als dieser von der des Freundes und jenes von der der Freundin!