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Stärke verführt, so hüllen wir uns an der Brust des Freundes vor uns selbst ein: sind es aber Schwächen, zu denen Zartheit einladet; so suchen wir unser Antlitz im Schooße der Schwester zu verbergen. Wer mag dem Freunde die Verirrungen der Eitelkeit gestehen, wer der Schwester die Folgen der Unmäßigkeit und Hitze?

Wie sehr lassen sich noch die Beyspiele der Fälle häufen, in denen sich die Seelen der Freunde, und wieder die der Trauten von verschiedenem Geschlechte vereinigen! Wenn unser Herz angefüllt wird mit Freude über das Gelingen solcher Plane, wogegen sich der Eigennutz des großen Haufens auflehnt, so hat der Freund den ersten Anspruch auf unsre Mittheilung; ist unser Glück nur gemacht, den Neid der Nachbarn und des geselligen Zirkels zu erwecken, so wird unser Frohsinn gegen die Schwester geschwätzig. Verlangen wir eine Unterhaltung, welche die Erörterung der Wahrheit eines wissenschaftlichen Gegenstandes, eines gründlichen Geschmacksurtheils mit sich führt; so wenden wir uns an den Freund. Von der Schwester erwarten wir dagegen gefällige Behandlung alles dessen, was zur Philosophie des geselligen und häuslichen Lebens gehört: Feinheit in den Bemerkungen über die Begebenheiten des Tages, über die Charaktere der Personen mit denen wir umgehen, u. s. w. Wir suchen hier üppige Unterhaltung der Seele, nicht Gewinn an allgemein nützlichen Kenntnissen auf!

Eben so wird das gebildete Weib den Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit fühlen. Wie behutsam ist es, dem trauten Bruder seine Weiblichkeiten, die übertriebenen Aeußerungen seiner Zartheit zu gestehen! Es verbirgt sich vor ihm, wenn es vor einer