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Anhang zum zweyten Buche.

Excurs.
Ueber das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Zärtlichkeit.

Die Zärtlichkeit trägt unstreitig etwas an sich, welches sie dem Eigennutze sehr nahe bringt. Wir selbst gewinnen dabey eben so viel, als der zärtlich geliebte Mensch außer uns. Hier ist wahre Theilung eines und des nehmlichen Glücks. Zärtlichkeit setzt folgenden Gang der Gefühle zum Voraus: ich fühle mich mangelhaft in meinem isolierten Zustande, ich kann durch ein Wesen meines Geschlechts, oder nicht meines Geschlechts, aber meiner Gattung, vervollständigt, vervollkommnet werden. Der Mensch außer mir ist ein Wesen meiner Art, er hat gleiche Bedürfnisse, gleiche Ansprüche. Er sucht einen Freund, einen Gatten, wie ich sie suche, und dazu ist uns Beyden nicht jeder Mensch von gleichem Werthe. Nur derjenige, der eine Natur an sich trägt, welche mit der unsrigen im Wohlverhältnisse steht, kann unsern wechselseitigen Hang zur Vervollständigung, zur Vervollkommnung unsers isolierten Wesens befriedigen. Wir bieten uns einander an; die Vereinigung gelingt, und die Vervollständigung, die Vervollkommnung wird von beyden Seiten gefühlt. Wie ist es möglich, daß nicht ein jeder für sich darauf zurückgeführt werde, ich bin es, der beglückt; ich, mit meinem nächsten Selbst, mit meiner engsten Sinnlichkeit, mit meiner Natur!