und Würde. Es war Kaiser Karl. Er war unverändert, noch immer der alte Krieger, wie friedlich auch die Welt geworden war.
Nachdem er die Lanze an die Wand gelehnt hatte, hob er den Knaben auf und behielt ihn lange auf seinem Arm.
Kaiser Karl verweilte mehrere Tage zum Besuche bei Eginhard und Emma. Er erquickte sich an den von Emma bereiteten, wohlschmeckenden Speisen und den von Eginhard gekelterten Weinen. Alsdann zog er nach Aachen zurück, wo er alsbald erkrankte.
Zwei Jahre lang lag der gute Kaiser in der Stadt Aachen krank in seinem Bette. Alle anderen Siechen, welche sich seinem Lager nahen konnten, wurden davon gesund. Nach seinem Tode wollte er begraben sein in der Liebfrauenkirche, die er selbst gestiftet hatte. Zu der Zeit, da er diese Kirche gründete, hatte er ein Gelübde gethan an Gott den Herrn, daß er sie wollte weihen lassen von so viel Bischöfen, als Tage im Jahre wären. Darum kamen nun viele Bischöfe an sein Krankenbette und sie standen auch auf dem ganzen Kaiserhofe herum. Aber als er sie nun zählte, da fand er doch, daß ihrer noch drei zu wenig waren. Das betrübte den guten Kaiser gar sehr.
Nun hatte der Bischof zu Lüttich den Herzog Wittekind wirklich zum Christentume bekehrt. Der Bischof hatte ihn bei sich behalten, bis er starb.
Da der Bischof gestorben war, kam Wittekind treuherzig zu Karl dem Großen nach Aachen und saß den ganzen Tag an seinem Bette.
Als er nun sah, daß Kaiser Karl nicht sterben konnte, von wegen seinem Eid, da sprach Wittekind:
„O Herr, bittet doch Gott, daß er den Bischof zu Lüttich und seine beiden Vorgänger aus dem Grabe auferstehen läßt, damit sie kommen und die Zahl der Bischöfe hier erfüllen und die Liebfrauenkirche einweihen helfen. Wie wird der Bischof, Euer Vetter, in seinem Grabe sich freuen, wenn er hört, daß Ihr ihm vergeben habt, was er für Eginhard und Emma gethan hat und daß Ihr ihn noch einmal sehen wollt! Und gewiß geschieht dann ein Wunder, damit die Liebfrauenkirche eingeweiht werden kann!“
So sprach der einfältige alte Heide, der nun ein frommer Christ geworden war.
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)