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zurück. Er ging mit Emma durch seine Gärten und befahl den Mägden, das unermeßliche Fallobst in den Baumgärten aufzulesen.

Sodann bestieg er wie ein Winzer mit Eginhard einige Weinberge, lobte die Süßigkeit der letzten noch an den Weinstöcken befindlichen Trauben und erteilte den Arbeitern, die mit dem Keltern des Weines beschäftigt waren, Befehle.

Schon nach einigen Tagen nahm König Karl in Ingelheim auch das Studium der Wissenschaften wieder auf. Er war kein Neuling darin. Wenn er mit Eginhard redete, so bediente er sich der lateinischen Sprache, um sich in deren Gebrauche zu üben.

Nur das Schreiben machte ihm Schwierigkeit wegen seiner schweren Hand. Durch den täglichen Gebrauch des Schwertes und der eisernen Lanze in dem letzten blutigen Sachsenkriege war seine Handschrift wieder viel schwerfälliger und ungelenker geworden.

Nun begab es sich, daß Eginhard eines Nachts das Gesindehaus verließ, um Emma in der für die königliche Familie erbauten Wohnung einen Besuch zu machen. Am anderen Morgen wollte er in das Haus des Gesindes zurückkehren.

Aber nun sahen Beide durch das Fenster, daß während dieser Nacht der erste Schnee gefallen war.

Besonders Emma erschrak heftig darüber. Sie zweifelte nicht, daß ihr Vater durch die Fußtapfen von Eginhard’s großen und schweren Schuhen im Schnee schon einige Stunden später von dem nächtlichen Besuche erfahren werde. Weit weniger auffallend war es, wenn der zarte Fuß einer Frau sich in den Schnee eingedrückt hatte. Waren doch unter den Dienerinnen der königlichen Familie mehrere mit solchen Männern, die im Gesindehause wohnten, verheiratet. Sie statteten ihnen dort ungehindert Besuche ab, während den Männern das Umgekehrte nicht erlaubt war.

Genug, Emma entschloß sich, Eginhard auf ihrem Rücken nach dem Gesindehause hinüberzutragen. Wie leicht konnte nicht der Wind die zarte Spur ihres kleinen Fußes bis zum anderen Morgen hin schon ganz verweht und vertilgt haben!

Zum Unglück aber sah König Karl vom Fenster seines Gemaches aus schon, wie Eginhard von Emma durch den Schnee getragen wurde.

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)