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Wilhelm wurde Ritter, wie Tags zuvor mein Sohn, und nach dem Harme einer langen Trennung durfte ihm die holde Königin nun ganz angehören. Es war ein freudenreicher Tag.

Die Feste waren verklungen, die Hochzeitsgäste hatten sich zerstreut, da trat eines Morgens der junge Fürst zu mir ein. „Vater“, sprach er, „Du wirst mir Rat geben in meinen Sorgen. Mein süß Gemahl hast Du mir wieder gegeben, aber noch immer bin ich meines Landes beraubt. Die Großen meines Volkes wähnen mich längst gestorben. Einige wollen mich verstoßen, wenn ich auch wiederkäme, um sich selbst zu erhöhen. Zwar weiß ich die Besten mir getreu, doch sind viele Plätze schon in meiner Feinde Hand. Nur Du, Vater, kannst helfen, wenn Du mir Mittel und Wege giebst, mein Land wieder zu erreichen.“ „Ich habe das alles wohl bedacht“, entgegnete ich ihm. „Ein Schiff liegt schon am Strande, und ich selbst will Euch begleiten. Solltet Ihr aber Streit bekommen, so stehen viele tapfere Ritter zur Wehr bereit für Euch.“

Mit Weinen sah mein Weib die junge Königin, die ihr so lieb geworden war, von sich scheiden. Wir fuhren mit gutem Winde hinab den breiten Rhein. Dann nahm das offene Meer uns auf. Der Himmel war unsrer Fahrt günstig, und so währte es nicht lange, bis wir die Themse hinauf der Hauptstadt Wilhelms zuflogen. Was für ein Getreibe fanden wir da, die Werft, den Strom entlang! Der Sicherheit wegen begab ich mich vorerst nur mit zweien meiner Knappen in die Stadt, während die übrigen verborgen im Hafen zurückblieben.

Als ich am Thore der Stadt anlangte, konnte ich im Gewühl der Menge des Volkes, welches auf und ab wogte, kein deutlich Wort vernehmen. Da mußte ich mich entschließen Nachtherberge zu nehmen. Der Wirt, den ich antraf, schien mir ein gefälliger Mann zu sein, und so fragte ich ihn, ob etwa ein Turnier so viele Gäste herbeigelockt habe. „Ihr müßt weither gekommen sein“, war seine Antwort, „daß Ihr nicht wißt, was für ein Tag hier bevorsteht. So hört denn! Der junge König dieses Landes ist gestorben. Es ist schon längere Zeit her, und noch hat sich kein neuer Fürst, der unser Herr wäre, gefunden, die Verwirrung wuchs von Tag zu Tag, und keine Einigung kam bisher zu Stande.

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/247&oldid=- (Version vom 1.8.2018)