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ihr nach. Nach ritterlichem Brauch trug auch mein Sohn ein Kleid von teuerem Sammete bei diesem Gottesamt. Elf junge Edelinge, die mit ihm zugleich heute den Ritterschlag empfangen sollten, knieten in der Halle neben ihm. Als die Messe verklungen war, beugten sie alle ihre Kniee vor dem Bischof, der ihre Schwerter segnete. Fröhlich sprangen dann die jungen Ritter – erst noch Knappen – hinaus und zerbrachen ihre Schäfte.

Was stand nun noch dem Glücke meines Sohnes im Wege? Kaum werdet Ihr ahnen, was jetzt sich ereignete.

Schon saß Gerhard beim Hochzeitmahl der Braut zur Seite, da sah ich plötzlich etwas entfernt einen Fremdling stehen. Die hellen Thränen rannen ihm über das bleiche Antlitz, so sehr er auch sich ihrer zu erwehren bemüht war. Wankend hielt er sich an einer Säule fest, und ich sah wie sein Blick nur nach Irenen gerichtet war. Ich trat ihm näher. Zerrissen war sein Gewand, und sein Anblick rief tiefes Erbarmen in mir wach. Doch sah ich bald trotz der Fetzen, in denen sein Kleid herab hing, trotz des Staubes, der Wang’ und roten Mund ihm schwärzte, daß es ein schöner, junger, hochgewachsener Mann war, der vor mir stand. Blaue Adern durchzogen seine weiße Haut. Ich hielt ihn für einen Angelsachsen. Herr Gott, dachte ich, was führt den Fremdling heute her? Was ist’s, daß er nur nach der schönen Braut hinblickt?

Ich ging zu ihm und fragte ihn um sein Leid. Lange wollte er mir die Antwort weigern. Da führte ich ihn abseits und ließ nicht ab, in ihn zu dringen. „Wie kommt’s“, forschte ich, „daß ich so elend Euch vor mir sehe, wie kommt’s, daß Euch Irenens Anblick so großen Schmerz bereitet? Ich sah es wohl, wie Ihr die Hände wandet. Wie ist Euer Name? Wer je nur trauernd zu mir kam, wurde gern von mir erfreut.“

„Ich lebe“, sprach der Fremde, „in so großer Pein, daß nichts mir willkommener wäre als der Tod. Wohlan denn, ich heiße Wilhelm, Wilhelm von Engelland. Meine Ahnen beherrschten dies Land, und auch mir ward die Krone, als mein Vater starb. Mit achtzehn Jahren fuhr ich um eine Braut über’s Meer gen Norwegen. Von stattlichem Gefolge umgeben, mit vierundzwanzig Grafen und zwölf Jungfrauen kam ich zu König Reinmunds Hofe. Seine liebliche Tochter, den hehrsten Engeln gleich, bot mir der König zum Gemahl, doch sollt’ ich schwören ihrer zu entsagen, bis ich das Ritterschwert

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/242&oldid=- (Version vom 1.8.2018)