Der Kaiser schlich in tiefes Sinnen versunken von dannen. Ihm ließ des schlichten Kaufmanns Ruhm nicht Ruhe mehr bei Tag und Nacht. Er machte sich mit einigem Geleite auf zur Fahrt nach der alten Stadt Köln am Rhein. Auf sein Geheiß lud der Bischof alle Bürger der Stadt ein, sich bei ihm zu versammeln. Sie kamen alle, jung und alt, in feierlicher Tracht einhergeschritten. Und nachdem der Kaiser sie gnädiglich begrüßt, stellten sie sich in weitem Bogen vor ihm auf. Des Kaisers Auge durchlief spähend ihre Reihen. Er wollte nur den Einen herausfinden, den Gottes Stimme so hoch gepriesen hatte. Da fiel sein Blick auf eine Gestalt, die, obgleich des Alters Zeichen an sich tragend, doch in erhabener Schöne und Kraft alle anderen überragte. Mit reichen Gewändern geschmückt, erblickte er den Mann vor sich. Er sah, wie er frei um sich blickte, wie die anderen ehrfurchtsvoll bemüht waren, ihm einen eigenen Platz einzuräumen. Der Kaiser wußte es wohl, noch ehe der Bischof ihm auf Befragen es gesagt hatte, es sei der reiche Kaufmann, den alle Welt weit und breit kenne, der gute Gerhard, wie des Volkes Mund ihn bezeichne. Als er darauf den versammelten Bürgern verkündete, daß er gekommen sei, um guten Rat zu hören, daß er Einen aus ihrer Mitte wählen möchte, um sich von ihm denselben geben zu lassen, und daß er den Gerhard sich dazu ausersehen hätte, riefen alle einstimmig, die Wahl sei gut, er sei der Würdigste von Allen.
Der Kaiser zog den Gerhard mit sich in sein Gemach. Nun endlich war sein Sehnen erfüllt, den Hochgepriesenen vor sich zu sehen, und er wollte nicht ruhen, bis er von ihm selbst erfahren, was ihm so hohe Gunst eingebracht habe.
Der Kaiser lud Gerhard ein, auf sammtnem Ruhebette neben ihm zu sitzen, und wie jener sich auch sträubte, er mußte den Ehrenplatz einnehmen. Nun begann des Kaisers Fragen. „Wie kam es nur, daß Dir solch’ Name wurde? Sie nennen Dich den frommen, den guten Gerhard. Was hast Du nur so Großes Gott zu Liebe gethan? Um Dich allein kam ich so weit daher. Du darfst mir nichts verhehlen.“
Umsonst war des guten Gerhards Bitte, von diesem Verlangen abzustehen. Er suchte seinen Beinamen von ganz geringfügigen Ursachen herzuleiten. Es half ihm alles nichts. Der Kaiser drang immer ungestümer
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/231&oldid=- (Version vom 1.8.2018)