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werfen würde. Nur wenige unter den Anwesenden waren schon so weit von dem Heidentume abgewandt, daß sie einiges Mitleid mit der unglücklichen Christin fühlten.

Die Jungfrau aber blickte ruhig und gottergeben zum Himmel auf. Eben kam die Morgensonne hinter dem Siebengebirge hervor und warf einige Strahlen auf den Eingang der blutigen Höhle des Drachen. Da kam das geflügelte Ungeheuer heraus und eilte zu dem Altare, wo ihm heute keineswegs das erste Opfer bereitet war. Es schoß flammende Blitze auf die arme Christin. Aber diese blieb selbst im Angesichte des Todes unerschrocken.

Sie trug ein kleines goldenes Kruzifix im Busen, und da sie in unerschütterlichem Glauben an ihren Erlöser beharrte, so zog sie es in ihrem Sterbestündlein hervor, gerade als der gierige Drache auf sie lossprang.

Sowie der Drache das Kruzifix erblickte, stürzte er sich mit furchtbarem Zischen in den nächsten Waldesgrund.

Die Jungfrau dankte inbrünstiglich ihrem Erlöser. Aber alles Volk wurde durch dies Wunder von dem Heidentume abgezogen und zum Christentume bekehrt. Alle erkannten in dem Kreuze den mächtigen Talisman, der von Tod und Sünde freimachen könne.

Der Christin näherten sie sich nun wie einer Heiligen. Sie lösten ihre Bande und ließen sich das unscheinbare kleine Kreuz vorweisen und predigen.

Die vom Tode befreite Jungfrau predigte ihnen das Kreuz mit solcher Beredsamkeit, daß zuletzt das ganze Volk auf den Knieen lag. Zwar waren die Anführer, welche um ihre Hand geworben hatten, nicht zugegen. Aber da die Christin in ihre Heimat zu ihren Eltern zurückzukehren wünschte, um dem Volke von dort her einen Priester zu senden, durch den jedermann sich könne taufen lassen, so wagten sie nicht, die Geliebte zurückzuhalten. Der Priester aber, welchen die Jungfrau schickte, taufte zuerst das Volk, dann die beiden Häuptlinge und zuletzt selbst die in diese Gegend verschlagenen Druiden.

Wo der Stein gestanden hatte, auf welchem dem Drachen geopfert worden war, erhob sich alsbald eine christliche Kapelle.

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/203&oldid=- (Version vom 1.8.2018)