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das wir angerichtet haben unter den Sarazenen. Möge er fünfzehn ihrer Toten zählen gegen einen der unseren! Dann wird er unser Andenken segnen, wenn er uns selbst auch nicht mehr findet.“

König Karl aber stürmte unablässig nach Westen. Er erreichte Ronceval und fand keinen Weg, keinen Pfad, keine Stelle, wo nicht Franken oder Heiden aufgeschichtet lagen.

„Wo sind sie geblieben, die ich hier zurückgelassen habe?“ rief der König aus. „Wo ist Warin und sein Kumpan Gert? Wo ist Ivo und Iverich, die mir so lieb sind? Was wurde aus Engelhardt von Gascogne und dem Baron von Ansagis? Wo ist der alte Gerhardt von Roussillon, und wo sind die Zwölfe, denen niemand gleichet? O Roland, Roland, mein Freund, ich kehre in mein Reich zurück, und in der Pfalz werden mich die Fremden, selbst wenn sie aus dem Morgenlande zu mir kämen, fragen: Wo ist Roland der Graf, der Feldhauptmann? Dann muß ich antworten: er blieb in Spanien. Ich werde regieren von Trübsal umgeben, und jeder Tag wird meine Thränen um Roland sehen. Freund Roland, schöner, wackerer Neffe, wenn ich zu Aachen um Nachrichten gefragt werde, dann verkünde ich sie wunderbar und schreckhaft. Ich werde erzählen müssen: Mein Neffe, der so viele Siege für mich erfochten hat, ist gefallen. Und dann werden Sachsen, Ungarn, Bulgaren, Böhmen, Apulier, die von Palermo und die von Afrika sich gegen mich empören! Wer soll dann diesen Völkern meine Heere entgegenführen, da er tot ist, welchem sie zu folgen gewöhnet sind? O du Reich der Franken, wie bist du verwaiset!“

Dabei raufte er sich mit beiden Händen den weißen Bart aus, und ringsum flossen die Thränen der Franken wegen Roland.

Dann aber kehrte König Karolus heim nach Aachen, der vornehmsten aller Pfalzen des Reiches. Kaum war er vom Pferde gestiegen, da ging er hinauf in den Rittersaal und vor ihn trat Alda, die edle Jungfrau und fragte: „Wo bleibt Roland, der geschworen hat mich heimzuführen?“

Über diese Frage empfand König Karl tiefen Schmerz. „Liebe Freundin,“ hob er an, „Du nennst einen Recken, welcher ebensowenig noch am Leben ist, als Dein Bruder Olivier. Du sollst für Roland einen andern Bräutigam haben, den besten, welchen ich weiß, meinen Sohn Ludwig, er

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/195&oldid=- (Version vom 1.8.2018)