hielt in der Hand eine köstliche, mit Edelgestein besetzte Blume und sprach: „Geliebte Tochter, beschaue diese Krone, welche Du erworben hast durch jene dörnerne Krone, die Du in der Wildnis getragen hast! Empfange sie von meinen Händen, denn nunmehr ist die Zeit, daß sich bei Dir anhebt die Ewigkeit Deiner Freuden.“ Mit diesen Worten setzte sie ihr die Krone auf das Haupt und fuhr mit ihrer Gesellschaft wieder gen Himmel.
Nur ein Vierteljahr hatte sie jetzt bei dem Grafen gelebt, da starb sie den 2. April im Jahre des Herrn 750. Da fiel der betrübte Graf samt seinem lieben Sohne über den toten Leib her. Sie führten ein so erbärmliches Klagen und Heulen, daß man befürchtete, sie würden beide vor großem Herzeleid sterben. Es klagten und trauerten auch mit ihnen alle Diener und Kammerjungfrauen so schmerzlich, daß, wer solches Leid hörte, mit ihnen zu weinen bewegt wurde. Es schmerzte sie am meisten, daß sie so eine heilige Frau verloren hatten und ihre süßen Unterhaltungen nicht länger genießen konnten.
Die arme Hirschkuh, welche bis dahin im Schlosse verblieben und von allen war sonderlich geliebt worden, fing beim Tode der Gräfin an zu trauern und sich so betrübt zu stellen, daß es erbärmlich anzusehen war. Da man aber den heiligen Leichnam hinaustrug, ging das Wild ganz traurig mit gesenktem Kopfe der Leiche nach und schrie so erbärmlich und beweglich, daß alle Menschen sich mußten erbarmen. Dieses Schreien und Heulen dauerte fort, bis der heilige Leichnam begraben war. Nach dem Begräbnis aber legte sich das arme Tier aufs Grab, heulte noch viel erbärmlicher und ließ nicht eher ab, bis es endlich vor lauter Trauern auf dem Grabe gestorben ist.
Genovefa aber wurde begraben in Frauenkirchen, eine gute Stunde vom Kloster Laach hinter Niedermendig. Hier befindet sich jetzt die Meierei Frauenkirch mit einer Kapelle nebst dem Grabmale der heiligen Genovefa. Man hatte nach ihrem Tode auf ihrem bloßen Leibe auch noch ein härenes Gewand gefunden.
Die Trauer des Grafen über die Leiden, welche er Genovefa einst hatte bereiten müssen, bewegte Gott ihm einen Engel vom Himmel herab zu schicken, der ihn trösten sollte. Dieser kam zu ihm in eines Pilgers Gestalt, als er sich mit Schmerzenreich nicht mehr in der Nähe des Laacher
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/179&oldid=- (Version vom 1.8.2018)