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Hofmeister, er solle mich mit dem Kinde meines lieben Gemahles umbringen lassen. Die Diener aber schenkten mir aus Mitleiden das Leben, und ich versprach ihnen, daß ich nimmermehr vor meinen Herrn und Gemahl kommen, sondern in den Wäldern Gott dienen wollte, und das sind nun sieben ganzer Jahre.“

Über diese Rede hatte der Graf tausenderlei Gedanken. Er fing an zu argwöhnen, ob dies nicht seine Genovefa sei. Er starrte ihr ins Angesicht, konnte sie aber nicht erkennen, weil sie zu abgezehrt war.

Darum sprach er weiter zu ihr: „Meine liebe Freundin, saget mir doch: wie ist Euer Name und wie ist der Name Eures Eheherrn?“

Sie sprach seufzend: „Ach, mein Eheherr hieß Siegfried. Ich Armselige nenne mich Genovefa.“

Diese wenigen Worte erschreckten den Grafen mehr, als wenn ihn ein Donnerstreich getroffen hätte. Darum fiel er vom Pferde plötzlich zu Boden und lag auf der Erde mit seinem Angesichte, als wenn er ganz ohne Sinnen wäre. Dann richtete er sein Haupt auf und sprach auf den Knieen sitzend: „Genovefa, ach, Genovefa, seid Ihr es?“

Sie sagte: „Lieber Herr Siegfried, ja, ich bin die unglückliche Genovefa.“

Da war nun dem Grafen vor herzlichem Mitleiden nicht möglich die Zähren einzuhalten, noch vor Erstarrung ein Wort zu sprechen. Nach vielem heißen Weinen aber sprach er noch immer knieend: „Ach meine herzliebste Genovefa, wie finde ich Euch in solchem Stande? Ach, daß Gott im Himmel erbarme! Daß ich Euch Elende ansehen muß! Ich bin nicht wert, daß die Erde mich tragen soll! O wehe meiner armen Seele! Wie will ichs bei Gott abbüßen und den erlittenen Schimpf und die Schande wieder einbringen können! Verzeiht mir, o liebe Genovefa! Ich stehe nicht auf vor Euren Füßen, bis ich von Euch Gnade erlanget habe.“

Die gottselige Gräfin war durch die Worte Siegfrieds so bewegt worden, daß sie vor Mitleiden und großem Weinen nicht gleich konnte antworten.

Endlich sprach sie: „Nicht betrübt Euch, mein Herr Siegfried, nicht betrübt Euch so sehr. Es ist nicht aus Eurer Schuld, sondern aus Verordnung Gottes geschehen, daß ich in diese Wüste gekommen bin. Ich verzeihe

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/174&oldid=- (Version vom 1.8.2018)