den anderen vierfüßigen Tieren unter einem Baum. Die Vöglein aber setzten sich über ihnen in die Zweige und weckten am andern Morgen die Reisegesellschaft, indem sie zuerst ihr Morgenlied anstimmten.
So wanderte Genovefa sogar über die Gebirge fort. Sie kam in die Gegend von Laach und Mainfeld, wo Siegfried ererbte Schlösser und Güter besaß. Bei der jetzt sogenannten Genovefaquelle wurde sie von einem furchtbaren Unwetter überrascht. Da erblickte sie gleich daneben einen hohlen Baum. Sie flüchtete mit Schmerzenreich in denselben. Der Baum war aber so groß, daß sie sich darin wohnlich einrichtete wie einst in der Höhle. Indessen hatte Gott beschlossen, daß sie hier nach zwei Jahren vom Pfalzgrafen Siegfried aufgefunden werden sollte.
Nach jener großen Jagd bei der Steinhöhle der Genovefa hatte sich auf dem nur zwei Meilen entfernten Pfalzgrafenschlosse bei Trier folgende schreckliche Geschichte ereignet. Der Graf lag während der Nacht in seinem Schlafzimmer. Da hörte er um Mitternacht ein Gespenst mit starkem Schlage die Thür öffnen, gleich als ob es mit den Füßen schlurfend in sein Zimmer hineinging. Wiewohl nun der Graf nichts sah, so kam ihn gleichwohl eine solche Angst an, daß er nach seinen Dienern rief, welche ihm eilends zu Hülfe kamen und den Geist durch ihre Gegenwart vertrieben. Nachdem aber die Diener hinweg waren und der Graf noch voller Angst im Bette lag, kam der Geist zum andernmale, schlug die Zimmerthür auf, ging in dem Zimmer auf und ab und schleifte an Händen und Füßen eine lange Kette. Dem armen Grafen war so bange, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. Für Ängsten wußte er nicht, was er thun oder lassen sollte.
Da winkte ihm der Geist, und als der Graf nicht sogleich kam, drohte er ihm mit einem Finger. Also mußte der arme Graf voller Ängsten aus dem Bette steigen und mit unglaublichem Schrecken zu dem Geiste kommen.
Der Geist ging voran, winkte, er solle ihm nachfolgen und führte den Grafen an einen abgelegenen sumpfigen Ort. Allda deutete er mit dem Finger auf die Erde und verschwand ohne ein Wort zu sagen.
Der Graf rief nun abermals seine Diener, welche ihn nur mit Mühe wieder aus dem Sumpfe herauszogen. Am andern Morgen ließ er sie hier graben und aufräumen, da fanden sie einen toten Körper, der an Händen und Füßen lange Ketten hatte.
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/170&oldid=- (Version vom 1.8.2018)