Seite:Proehle Rheinlands Sagen und Geschichten.djvu/168

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

seines Hofmeisters gelobt, der, wie er vermeinte, Mutter und Kind in der Stille hatte hinrichten lassen. Aber kurze Zeit darauf fing dem Grafen das Gewissen an zu schlagen. Einst sah er im Schlaf, wie ihm ein Drache seine geliebte Gemahlin vor seinen Augen hinweg riß. Aber dieser Traum, welcher auf Golo ging, wurde von diesem arglistigen Manne am andern Morgen selbst so ausgelegt: „Der Drache bedeutet den Koch Dragones, der Euch, gnädigster Herr Pfalzgraf, das Herz der Gräfin entrissen hat.“

Eines Tages kam der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin und fand unter anderen Schriften denjenigen Brief, den sie in dem Kerker, ehe sie sollte ausgeführet werden, geschrieben hatte. Als er den Brief gelesen hatte, wurde der Graf gegen Golo so erzürnt, daß er ihn auf der Stelle durchstochen hätte, wenn derselbe gegenwärtig gewesen wäre. Aber der arglistige Golo erfuhr es von anderen Hofbedienten, machte sich einige Tage aus dem Staube und kam nicht eher wieder, als bis er vernahm, daß der erste Zorn des Grafen verraucht wäre. Alsdann sagte er zu seinem Herrn: „Genovefa bezeugt in dem Briefe, sie sei unschuldig. Ei wohl, eine schöne Verantwortung! Wenn das Leugnen genug ist, so sind alle Diebe die unschuldigsten Leute auf der Welt!“

Mit dergleichen Worten besänftigte er den Grafen und brachte sich selbst wieder zu den vorigen Gnaden. Damit der Graf seine traurigen Gedanken möchte in den Wind schlagen, suchte der Golo auf, was er wußte, das den Grafen belustigen konnte. Allerhand Kurzweil richtete er an, als gegenseitiger Besuch der Freunde, Tanzen, Gastereien und Rennen.

Endlich stellte er dem Grafen vor, daß so lange kein großes Jagen in seinen Wäldern abgehalten sei. Der Graf hatte dem Golo immer wieder seine Verleumdung geglaubt, die er gegen die unschuldige Genovefa ausgesprochen hatte, denn wenn er Zweifel in Golos Worte setzte, so mußte er sich selbst große Schuld beimessen an dem vermeinten Tode der Genovefa und ihres Sohnes. Darum fand er noch immer einen Trost darin, wenn er dem verhaßten Golo glaubte und verschmähte es auch nicht, mit diesem Bösewichte den rauschenden Vergnügungen nachzugehen, welche auf seinen Schlössern an der Mosel und dem Rheine niemals heimisch gewesen waren, so lange als Genovefa bei ihm war. So willigte er denn auch ein, daß dieses große Jagen in dem Walde veranstaltet wurde.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/168&oldid=- (Version vom 1.8.2018)